Herrlich ist es über Wasser zu gehen, herrlicher aber ist es über Land zu gehen · 2005, zweifarbig

Auf einem von Haupts Linolschnitten sieht man einen Mann mit langen Haaren und Bart, jüdischer Nase und Wanderstab durch eine exotische Berglandschaft gehen. Seitlich des Weges aus einem tiefen Tal erscheint ein weißer Elephant. Der Mann blickt verdrossen, müde. Seine rechte Hand vollführt eine segnende und zugleich ablehnende Gebärde gegen den Elephanten. Über die ersten Impulse zu diesem Bild gibt ein Brief Haupts an Johannes Grützke Auskunft:

Vor meiner Abreise aus Kunming habe ich große Kunst gesehen. In einem Zenkloster nahe der Stadt, wer- den 500 bemalte Terracottafiguren, Mönche und Heilige darstellend aufbewahrt. Der Bildhauer Li Guangxiu schuf sie gegen Ende des 19. Jh. nach lebenden Modellen. Sie sind – wie der Chinese – beinahe lebensgroß und haben mehr Leben, als die grauen Mönche, die herumlaufen und aufpassen, daß ich nicht fotografiere. Unter den Skulpturen ist eine, die keinen Ostasiaten darstellt. Der Leibrock trägt zwar chinesisches Muster, die großen Augen aber, die jüdische Nase, der Vollbart, die schulterlangen Haare und der Stab in der Hand machen deutlich, daß es sich um Jesus handelt. Er legt einem weißen Elephanten segnend die Hand auf die Stirn.

In der Tat handelt es sich bei den Figuren Lis um Kunstwerke höchsten Ranges, die aus uns unerklärlichen Gründen von der chinesischen Kunstgeschichtsschreibung als Kunsthandwerk abgetan werden. Bei der erwähnten Figurengruppe handelt es sich jedoch nicht um Jesus sondern um Shakiamuni, der der Legende nach einen wild gewordenen Elephanten zähmte. Haupts Irrtum hat ihn zu einer Bildidee von weitem Beziehungsreichtum verholfen. Die Landschaft die Jesus hier durchwandert, ist sicher dieselbe die Haupt in oben zitierten Brief wie folgt, beschreibt:

Viel Seltsames begegnete mir in der Provinz Yunnan, die ich gerade verlasse. Dort scheinen selbst die Naturgesetze – so wie wir sie kennen – fragwürdig, auch solche, die ich bisher als unanfechtbar anerkannt habe. Bäume stehen dort, die haben keine Äste. Ihre Blätter sind zu nestartigen Gebilden gruppiert am Stamm angewachsen. Kiefern habe ich gesehen, mit Nadeln so groß wie Stricknadeln. Die Erde – so man sie zwischen dem seltsamen Pflanzen­teppich und dem Grün der sprießenden Reisfelder (dem grünsten aller denkbaren Grüne) sehen kann, ist rot wie Blut. In Yunnan gibt es keine Ebenen – nur Berge, wie Faltenwürfe eines hingeworfenen Gewandes einer Mutter Gottes, manchmal bekrönt mit Felsformationen, wie von einem wahnsinnigen Bildhauer erträumt. Was hier nah oder fern, groß oder klein war, konnte ich nicht ausmachen, denn da waren keine vertrauten Formen, die meinem landschafts­berauschten, schweifenden Blick als Maßstab dienen konnten. Die Bauern bearbeiten Gelände, in dem man sich meiner Bergsteigererfahrung nach anseilen sollte. Die Reisterrassen reichen in Unendlichkeiten von Tälern hinab. Auf ihren sehr schmalen Dämmen hinabzu- balancieren, empfiehlt sich nur für die darin geübten Bauern und ihre Wasserbüffel, die die mondsichelförmigen, gefluteten Felder pflügen. Die Dörfer sind wie Bilder an den Bergwänden aufgehängt. Die Straßen, auf denen ich in Überlandbussen gereist bin, schlängeln sich an den Bergwänden entlang und häufig sind Teile der Fahrbahn abgebrochen oder von Bergstürzen verschüttet. Die Mitreisenden waren Bauern, die rauchten ununterbrochen. Der Qualm tat gut, er nahm mir das Gefühl, in der zwar gewürzten aber dünnen morgenländischen Luft wie im Weltall ausgesetzt zu sein, denn dünn und wenig glaubhaft schien die Wirklichkeit dieser Landschaft – wie Bilder auf fadenscheiniger Leinwand.

Der Bildtitel „Herrlich ist es über Wasser zu gehen, herrlicher aber ist es über Land zu gehen“, ist ein frei zitierter Ausspruch des chinesischen Zenmönchs Lin Chi der im 9.Jh gewirkt hat. Es handelt sich hier nicht um eine Parteinahme für den Buddhismus gegen das von Nestorianern eingeführte Christentum, eher um ein Ablehnen eines Nimbus der Heiligkeit, der frommen Attitüde. Diese für den chinesischen Mahajana-Buddhismus zeichenhafte Haltung hat ihre radikalste Formulierung gefunden in der Formel: Wenn Du Buddha auf deinem Weg triffst, dann töte ihn! – in diesem Sinn ist wohl auch Jesu mißmutige, abwehrende Segnung des heiligen Tieres zu verstehen. Hat sich Haupts Jesus vielleicht gerade vor der Gläubigkeit – auch der Gläubigkeit an die Kunst, dem Fundamentalismus – auch der Kunst – in die abgelegene chinesische Provinz geflüchtet?

Dr. Friedrich Garbarian aus „Sehschlitze“

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