Tsingtao, 2005 · sechs Farben von drei Platten

Tsingtau 2.9.1904

Liebe Kirschblüte

Das Leben in Tsingtau ist ein Kreuz. Halbstündlich muß ich dem Deutschen eine frische Halbe aus der Brauerei an den Strand bringen. Dort räkelt er sich in Liegestühlen und weißem Anzug und weißem Helm und trinkt das Bier. Wenn ich eine Halbe abgegeben habe, muß ich mich sogleich auf den Weg zurück zur Brauerei machen, um nach Ablauf einer halben Stunde eine frische Halbe abliefern zu können. Als ich gerade wieder einmal am Strand ankam, beobachtete ich, wie Hopfenduft und Meerschaum um den Deutschen herumtoll- ten um dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Das gelang ihnen natürlich ohne weiteres, denn sie sind jung mit ihren 18 und 19 Jahren. Nach mir dreht sich der Deutsche gar nicht um, wenn ich ihm seine Halbe serviere, denn ich bin schon 21. Als ich mit der nächsten Halben wieder zum Strand kam, schien zwischenzeitlich etwas vorgefallen zu sein. Wahrscheinlich ist der Deutsche zudringlich geworden. Vielleicht hat er Hopfenduft und Meerschaum angeblickt – ich weiß es nicht. Die beiden haben die Scheren ihrer Taschen entfesselt und sie auf den Deutschen gehetzt. Ich machte mir große Sorgen, denn die Taschen näherten sich dem Deutschen mit bedrohlich geöffneten Scheren. Der Deutsche war aber nicht dumm und schob seine Bierfilze zwischen die Scheren, die sich sofort schlossen und nicht mehr öffneten. Da bekamen die beiden nun waffenlosen Gören es ordentlich mit der Angst zu tun und sie rannten den Strand entlang, sodaß ich sie bald aus den Augen verlor.

Deine Waltraud

Haupt aus „China-Episoden aus der Geschichte“

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