Die Mädchen von Shenzhen

Eine kleine Anleitung zur Betrachtung

von Christoph Haupt

 

Von 2001 bis 2002 lebte ich ein paar Monate lang in Shenzhen. Dort nahm ich die für etwa zehn Jahre unterbrochene Arbeit an der Malerei und Grafik wieder auf. Das Leben in der Stadt bewirkte eine Initial-Zündung für diese Arbeit.

Ich besuchte weiterhin fast jährlich China. Doch während der Zeit, in der diese Linoldrucke entstanden, verlor das chinesische Leben immer mehr an Bedeutung für meine Bildfindungen. China wurde in diesem Zusammenhang schließlich nichts als ein Synonym für Freiheit, eine Spielwiese, eine Bühne, auf der das gleichbleibende Personal von rot beschlauchkleideten, schlitzäugigen Mädchen wie Schauspielerinnen das Leben darstellen.

Diese Bilder sind Chinoiserien – ein erfundenes, unexotisches, weil inneres China, keine Alltagsbeobachtungen eines reisenden China-Freundes und auch keine Satieren, wie oft, doch ganz und gar abwegig vermutet wird.

Die unter dem Titel „Die Mädchen von Shenzhen“ gesammelten Linoldrucke sind in den Jahren zwischen 2005 und 2008 entstanden. Einige sind in dem Buch „China – Episoden aus der Geschichte“, Haupt/Grützke, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, in farblich reduzierten Varianten erschienen.

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Die Drucke habe ich alle in meinem Atelier auf einer Nudelpresse, wie die Drucker sie zu nennen pflegen, hergestellt. Bei den meisten Drucken sind mehrere Farben von einer Druckplatte übereinandergedruckt – nach dem Prinzip der verlorenen Form. D.h. der Prozess des Druckens ist unwiederholbar, denn die Druckstöcke werden dabei zerstört; und es gibt keine Probedrucke. Ein streng methodisches Vorgehen ist dabei ebenso erforderlich, wie spontane Entscheidungen beim Drucken jeder einzelnen Farbe.

Das Drucken ohne Probedrucke ist natürlich ein Wagnis. Ich bin selbst erstaunt, daß ich erst zwei- oder dreimal eine Auflage als mißglückt verwerfen mußte. Meistens entsteht ab dem Drucken der zweiten oder dritten Farbe eine ganz spezifische Farbstimmung, die zwar nicht erhalten werden kann, die aber ein sicherer Wegweiser ist, für den jeweils nächsten Druck-Gang.

Das Ungewöhnliche an meiner Vorgehensweise ist das Drucken als wesentlicher Bestandteil der Bildfindung, da die künstlerische Arbeit des Grafikers gewöhnlich beendet ist, wenn der Drucker mit seiner Arbeit beginnt.

Aus der Sicht eines professionellen Druckers sind diese Blätter schlecht gedruckt. Die grieseligen Strukuren bei zu starkem, das körnige Ausfransen von Flächen, bei zu geringem Farbauftrag, die runzelige Körnung beim Drucken auf noch nasser Farbe, das reliefartige Aufquellen der oxydativ-trocknenden Ölfarbe, das nicht ganz paßgenaue Drucken, Ungleichmäßigkeiten des Drucks durch Unterschiede im Platten-Niveau –: all das hat der professionelle Drucker zu vermeiden, ist hier aber nicht nur gewollt, sondern bildnerische Notwendigkeit.

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